Ein Zusammenbruch des Stromnetzes auch in Deutschland ist alles andere als realitätsfern, sagt Henrik Paulitz, Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Energiepolitik. Paulitz warnt, dass die “Stromversorgung massiv gefährdet” sei. Dies liegt aus seiner Sicht daran, dass die Kraftwerkskapazitäten abgeschmolzen werden, ohne dass es die versprochenen Langzeitstromspeicher gibt.
Zahlreiche Vorfälle in Europa und Nordamerika führen uns die Gefahr eines flächendeckenden, europaweiten Stromausfalls vor Augen. Das europäische Verbundsystem ist durch die Regulierung der Einspeisung des Stroms aus den Zufallsstromerzeugern Wind und Sonne anfälliger geworden. Großflächige Stromaussfälle beruhen nun nicht mehr nur auf einzelnen Fehlern, sondern hängen mit der Einspeisung des Stroms aus sogenannten erneuerbaren Energien in die Stromnetze zusammen; sie sind systembedingt.
Die großflächigen Stromausfälle (Blackouts) in den Jahren mit keinen oder geringen Einspeisungen des Stroms aus Wind- und Solarenergie hatten hatten Fehler als Ursachen, wie zum Beispiel der Stromausfall 2003 in den USA, der durch einen Softwarefehler verursacht wurde. Der Stromausfall in Europa im November 2006 beruhte auf einer mangelhaften Planung einer zeitweiligen Abschaltung zweier Hochspannungsleitungen.
Anders verhielt es sich im September 2016 in Australien. Frequenzschwankungen führten zu einem „schwarzen System“ (Blackout) in Süd-Australien, nachdem Stürme die Übertragungsleitungen außer Funktion gesetzt hatten. Der Untersuchungsbericht der Australischen Energiemarktkommission stellte fest, dass das vom Wind abhängige Stromnetz des Staates nicht mit der plötzlichen, schnellen und großen Frequenzabweichung fertig werden konnte. Die Verbindung mit Victoria war unterbrochen, sodass Süd-Australien nicht auf die stabile Grundlast des Nachbarstaates zurückgreifen konnte. Von dem Blackout waren 1.677.000 Bewohner betroffen.
Funktions- und Versorgungsstörungen nach einem Blackout
Die Folgen von Stromausfällen können verheerend sein, wenn sie sich über mehrere Tage und über große Flächen erstrecken. Am 16. Juni 2019 wurde es schlagartig dunkel in Buenos Aires und den meisten anderen Teilen Argentiniens. Die Lichter erloschen, Züge blieben stehen, Radios und Kühlschränke gingen aus. Ein Fehler in der Verbindung zweier argentinischer Kraftwerke hatte die Stromversorgung großräumig lahmgelegt. Der Blackout wirkte sich weit über die Grenzen hinweg aus: Auch das Nachbarland Uruguay sowie Teile von Paraguay und Brasilien waren betroffen. Das öffentliche Leben stand weitgehend still. Fast 48 Millionen Menschen waren ohne Strom – viele davon mehrere Tage lang.
In Berlin kam es 2019 zu einem 31-stündigen Stromausfall in den Bezirken Köpenick und Lichtenberg. Insgesamt waren 30.000 Privathaushalte, 2.000 Betriebe sowie diverse Senioreneinrichtungen und das Krankenhaus Köpenick betroffen. Patienten mussten evakuiert werden, alle Geschäfte blieben geschlossen – und das mitten in der Hauptstadt.
Obwohl die Stromversorgungen allenfalls eine Woche und lokal begrenzt unterbrochen waren, zeigten sich bereits massive Funktions- und Versorgungsstörungen, Gefährdungen der öffentlichen Ordnung sowie Schäden in Milliardenhöhe. Welche Folgen ein langandauernder und großflächiger Stromausfall auf die Gesellschaft und ihre Kritischen Infrastrukturen haben könnte und wie Deutschland auf eine solche Großschadenslage vorbereitet ist, wird in dem Buch “Was bei einem Blackout geschieht” von Marc Elsberg aufgezeigt.
Am 8. Januar 2021 stand Europa aus verschiedenen Gründen knapp vor einem Blackout. Dieser Vorfall, der Berichten zufolge durch einen plötzlichen Abfall der Netzfrequenz in Rumänien ausgelöst wurde, macht deutlich, wie anfällig der europäische Stromnetzverbund für eine Störung ist. In deutschen Medien wurde zunächst kaum über den Beinahe-Blackout berichtet.
Die Folgen der Energiewende
Einen Zusammenhang mit der Energiewende, die sich auf sogenannte erneuerbare Energien stützt, wollen deren Befürworter nicht sehen.
“Die Energiewende findet in den Verteilnetzen statt”, sagt Wago, einer der international richtungweisenden Anbieter der Verbindungs- und Automatisierungstechnik sowie der Interface Electronic. Denn in diese Netze speisen Erneuerbare Energieanlagen (EE-Anlagen) vornehmlich ein – auf Mittel- und Niederspanungsebene. Die Verteilnetze spielen eine wesentliche Rolle für die Systemintegration der erneuerbaren Energien und daher auch für die Systemstabilität unserer Stromnetze.”
Bisher lag die Verantwortung für Netzengpass-Management (Redispatch) bei den vier Übertragungsnetzbetreibern 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW. Ab 1. Oktober 2021 muss das neue Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG 2.0) umgesetzt werden. Dann sind auch Verteilnetzbetreiber für Strom in der Pflicht, sich aktiv daran zu beteiligen, Netzengpässe zu vermeiden, ihre Ortsnetzstationen weiter zu digitalisieren und nachfolgende Schritte in ihrem Unternehmen für das Redispatch 2.0 zu planen. Beim Redispatch 2.0 müssen neben den vier Übertragungsnetzbetreibern nun auch die etwa 890 Verteilnetzbetreiber eine aktive Rolle im Redispatch-Prozess einnehmen, um Netzengpässe zu vermeiden, erklärt Wago. Für die Übertragungsnetzbetreiber bedeute dies, dass ihr Handlungsspielraum durch den Anstieg der dezentralen EE-Anlagen in den darunter liegenden Verteilnetzen immer kleiner wird.
Bisher konnten die Übertragungsnetzbetreiber mit wenigen Eingriffen die Netzstabilität und damit die Versorgungssicherheit gewährleisten. Diese Sicherheit gehört der Vergangenheit an. Die Anzahl der erforderlichen »Redispatch«-Maßnahmen von ursprünglich jährlich einigen 100 ist auf über 3000 angestiegen. Die gesicherte
Stromversorgung mit stabilen Netzen hält Prof. Dipl.-Ing. Alwin Burgholte dadurch erheblich gefährdet.
Auch Wago, der Netzbetreiber bei der Einrichtung eines einheitlichen Redispatch-Regimes unterstützt, benennt das Problem der Energiewende: “Die Redisptach-Maßnahmen nehmen zu, die Kosten steigen und werden von allen Stromkunden als dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten über die Netzentgelte bezahlt.” Redispatch diene dem Netzengpass-Management und sorge dafür, die Netzstabilität und damit die Versorgungssicherheit mit Strom zu gewährleisten, erklärt Wago: “Es beschreibt die Anweisung der Netzbetreiber an die Kraftwerksbetreiber, ihre geplante Stromproduktion zu verschieben, weil sonst Leitungsabschnitte überlastet werden können. Grundlage dafür ist der am Vortrag gemeldete Fahrplan (Dispatch) eines jeden Kraftwerkbetreibers, der rein wirtschaftlichen Prinzipien folgt. Alle Fahrpläne zusammengenommen bilden dann den bundesweiten Dispatch. Wenn durch diese Fahrpläne an einer bestimmten Stelle im Netz ein Engpass verursacht wird, muss umgeplant werden. Per Redispatch werden dann die Fahrpläne der Kraftwerke für die Netzstabilität harmonisiert. Konkret: Kraftwerke diesseits des Engpasses werden angewiesen, weniger Energie einzuspeisen, Anlagen jenseits des Engpasses sollen ihre Einspeiseleistung erhöhen. Auf diese Weise wird ein Lastfluss erzeugt, der dem Engpass entgegenwirkt.”
Das bedeutet, dass die Kleinverbraucher, die kein Veto online manisfestieren können, als Regelgröße herangezogen werden. Denn es ist einfacher, Verbraucher abzuschalten als Kraftwerke hochzufahren. Denn Kraftwerke sind nicht nur träge, sondern verschleißen im Modulationsbetrieb deutlich schneller.
Während grüne Politiker die Vorteile dezentraler Energieversorgung durch viele kleine Anlagen hervorheben, findet tatsächlich eine Zentralisierung der Stromversorgung im Netz statt. Dadurch erhalten zukünftig die Übertragungsnetzbetreiber die Macht, über die Priorisierung der Stromversorgung zu entscheiden. Ohne Digitalisierung der Verteilnetze ist die von der Bundesregierung geplante Energiewende nicht möglich. Die Stromregulierung wird zukünftig mit Hilfe von „Smart Metern“ (“Smart Grids”) auch für jeden privaten Haushalt möglich sein.
Jeremy Rifkin, der Top-Berater von wichtigen Vorstandschefs und Politikern, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagte im Juni 2013 auf dem Dresdner Zukunftsforum, dass die Digitalisierung dafür sorgen werde, dass große Energieunternehmen sich in eine neue Rolle einfinden müssen, die “die IT-Unternehmen schon in den 1990er Jahren gefunden haben: weg von der Produktion und hin zu Management und Networking.” Energieunternehmen sollten keinen Strom mehr produzieren, sondern das Gesamtmanagement der dezentral handelnden Produzenten übernehmen, riet der Top-Berater von Politikern und wichtigen Vorstandschefs. Die deutschen Energieriesen sähen ein, dass die wirklichen Wachstumsmöglichkeiten in einem “neuen Geschäftsmodell” für die Energiekonzerne liege. Das alte Geschäftsmodell sei viel zu teuer und die Stromnetze seien ineffizient, der Emissionshandel werde fossile Energien noch unerschwinglicher machen: „Das ist ein Spiel für Verlierer.”
Dass die digitalisierte Stromversorgung unsicherer und das Stromversorgungssystem anfälliger für Cyber-Angriffe wird ist in dem neuen Geschäftsmodell nebensächlich. Denn der Strom lässt sich durch zentrale Regelungen jederzeit verteuern. Dass die Strompreise in Deutschland bereits die Spitzenposition in der Welt einnehmen, besorgt wohlbetuchte Politiker und Staatsangestellte nicht. Die potenzielle übernächste Bundeskanzlerin Annalena Baerbock sieht das jedenfalls locker. Sie sagte im Deutschlandfunk: “Und natürlich gibt es Schwankungen. Das ist vollkommen klar. An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.”
Das Netz fungiert natürlich nicht als Speicher, und ausgerechnet ist nichts, was dem kritischen Blick eines Kreditgebers in den Businessplan eines Startup-Unternehmens standhalten würde.
Allen Einwänden und allen Warnungen von Fachleuten zum Trotz gilt die Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kohle und der Kernenergie als eine beschlossene Sache und als Teil des Zukunftsprojekts Industrie 4.0. Sie ist ein Kernelement der Hightech-Strategie der deutschen Bundesregierung und offensichtlich nicht verhandelbar, stellte Ruhrkultour 2015 fest. “Die Transformation dürfte bis zum bitteren Ende weiter vorangetrieben werden, selbst gegen den Willen eines großen Teils der Industrie, auch angesichts eines drohenden Ruins Deutschlands. Die Bundesregierung glaubt an die vierte industrielle Revolution, hält sie für alternativlos und ist überzeugt, dass die deutsche Industrie nur die von ihr gebotene Chance nutzen müsse, die vierte industrielle Revolution aktiv mitzugestalten. Nach der Devise: Wer nicht mitzieht ist wert, dass er zugrunde geht.”
Vorräte für den Notfall
Redispatch 2.0 bedeutet konkret, dass nicht mehr nur konventionelle Kraftwerke mit mehr als 10 Megawatt (MW) Nennleistung herangezogen werden, um das Netz stabil zu halten. Jetzt sind laut Wago auch EE- und KWK-Anlagen sowie Speicher mit einer Leistung ab 100 Kilowatt (kW) und auch kleinere Anlagen, die vom Netzbetreiber fernsteuerbar sind, in den Redispatch-Prozess eingebunden.
Die größten Gefahren lauern in der Beschaffenheit der Stromnetze selbst. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) entstehen immer mehr kleinere Kraftwerke, die aus Wind und Sonnenstrahlen Strom erzeugen. Das Stromnetz wird immer komplizierter und damit auch anfälliger. Zwar hält die Bundesnetzagentur einen Komplettzusammenbruch des Stromversorgungssystems bisher für relativ unwahrscheinlich, aber dennoch nehmen behördliche Empfehlungen zu, sich für den Notfall Vorräte bereit zu halten.
Wenn man dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe vertraut, dann lohnt es sich auf jeden Fall, ein paar Vorräte für den Notfall bereit zu halten. Denn ein Stromausfall kann tief greifende Folgen haben, die weit darüber hinausgehen, dass man in der Nacht kein Licht verfügbar hat.
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